Was dich nicht umbringt … macht dich erstmal ordentlich fertig. Als ich im Sommer loszog, die 550‑Kilometer von München bis nach Venedig zu wandern, stellte ich mir Bilderbuchpanoramen, sonnengeküsste Gipfel‑Selfies und „Dolce‑Vita‑Gefühle nonstop“ vor. Bekommen habe ich auch das – plus eine exklusive Sammlung an Momenten, in denen ich am liebsten schreiend ins nächste Flixbus‑Terminal gerannt wäre. Vier Wochen später bin ich stolz, heil und um einige turbulente Erinnerungen reicher in Venedig eingelaufen .
Heute serviere ich dir meine persönlich geprüften Lowlights dieser Tour – ungeschönt und tränennass.
1. Husten, Holzweg & Hörspiel – der endlose Aufstieg zur Kreuzwiesenalm
Ich starte mit – Trommelwirbel – einer dicken Erkältung in Tag 15 meiner Alpenüberquerung. Jeder Huster fühlt sich an, als würde mir ein Sumoringer in den Brustkorb springen. Trotzdem schleppe ich mich die 1.300 Meter durch einen sterbenslangweiligen Wald bergauf. Keine Aussicht, keine Lichtung, nur Baum‑Monotonie, die jede Hoffnung auf Bergromantik atomisiert.
Tempo? Neuer Negativrekord. Ich schleiche hustent und fluchtent diesen maximal unspektakulären Weg empor. Mein einziger Lebensretter: die Jubiläumsfolge Die drei ??? – vier Stunden geballter Detektiv‑Trash. Justus klugscheißt, Peter jammert: die perfekte Spiegelung meiner eigenen Lage.
Als endlich die Alm auftaucht, bin ich völlig erschöpft und nehme nur noch das weiche Bett wahr. Erst am nächsten Tag wird mir klar: Dieser fiese, knochentrocken‑langweilige Aufstieg war das Eintrittsgeld für einen grandiosen Panorama‑Kessel und eine Hütte, die aussieht, als hätte Heidi sie persönlich dekoriert.
Must‑Have Gear:
- Blackroll Recover Tapes für die Gehpause danach – glaub mir, Waden wie Beton.
- Ricola Kräuter‑Original: Hustendrops‑Flatrate.
- Feuriges Auge – Die drei ??? Jubiläumsbox – ohne die hätte ich nach Kilometer fünf den Notruf gewählt.
2. Das Stempeljoch des Grauens – 5 Stunden Geröll, Angstschweiß & lose Drahtseile
„Läuft!“ glaubte ich, nachdem mir mehrere Hüttenwirte versicherten, das Stempeljoch sei “gut in Schuss”. Haha. Stell dir eine steile Geröllrampe vor, auf der jeder zweite Stein wegrollt, während sich die angeblichen Drahtseile wie labbrige Spaghetti daneben schlängeln. Zwei Schritte vor, einen zurück – brüchiger Schutt, lose Eisenbügel, das ganze Stempeljoch wirkt, als hätte es die Baustellen‑Abnahme noch vor sich.
Spätestens ab der Hälfte kickt die Höhenangst so hart, dass ich mich mit Oberschenkelzittern in meine Stöcke presse. Ich habe Angst. Richtig. Viel. Angst. Ich merke wie sich langsam Panik in meinem Körper ausbreitet. Plötzlich frage ich mich, ob ich das hier schaffen kann. Meine Beine zittern und mein Körper ist erschöpft. Ich sollte eine Pause machen – mich hinsetzen, etwas essen… aber ich trau mich nicht meinen Rucksack abzusetzen oder auch nur einen Fuß aus der Geh-Rille zu nehmen. So stehe ich da, mitten am Berg. Es geht nicht vor und nicht zurück. Das einzige was noch geht? Atmen. Laut und ruhig und langsam. Atmen. Laut und ruhig und langsam.
Nach ein paar Minuten habe ich meine Panik unter Kontrolle. Ich merke, sie ist noch da, aber ich kann sie unterdrücken. Verschieben auf später. Ich konzentriere mich wieder auf meine Füße und setzte einen Fuß vor den anderen.
Nach fünf Stunden erreiche ich den Kamm, falle wie ein nasser Sack um und heule kurz vor Erleichterung. Tränen und Lachen vermischen sich. Ich kann es kaum glauben, dass ich es geschafft habe. Ich lebe. Die anschließenden drei Stunden Abstieg laufen in emotionaler Narkose. Zum Glück habe ich einen Pausentag in Innsbruck eingeplant, sonst könnte ich diesen Text aus der Psychiatrie diktieren.
Gear‑Lessons für Nervenbündel
- Black Diamond Distance Carbon Z – Trekkingstöcke als seelische Stützräder.
- Petzl Scorpio Vertigo – via‑ferrata‑Set für den moralischen Sicherheitsgurt.
- Calm‑App im Offline‑Modus – Box‑Breathing‑Timer immer griffbereit.
3. Umweg Nives‑Scharte – sicherer ist manchmal nur länger, steiler … und bekloppter
Traumatisiert vom Stempeljoch wähle ich “die sichere Variante” um die Nives‑Scharte zu umgehen. Ergebnis: Die Alternative schlängelt sich durch endlose Blockfelder, dann exponierte Kletterstellen, an einer Stelle ein 60‑Zentimeter‑Spalt zwischen zwei senkrechten Felswänden. Ich überhole ein Paar mit Hund, das das Tier stellenweise SENKRECHT hochheben muss. Wie und ob die den Wuff da jemals hochbekommen haben… die Frage, hält mich heute noch nachts wach.
Erkenntnis: Der vermeintlich harmlose Umweg entpuppt sich als Kletterei mit Arm‑Einsatz und Herz in der Hose. Meine Mitwanderer, die direkt durch die Kamin‑artige Nives-Scharte gingen, kamen lachend am Pordoi an und schworen, sie hätten nie echte Absturzgefahr gespürt. Kurzfassung: Spar dir die Zeit und Nerven und geh über die Originalroute!
Affiliate‑Note: Wer partout auf Umwege steht, sollte wenigstens ein ordentliches via‑ferrata‑Set dabeihaben (Petzl Scorpio Vertigo) und für den Hund einen AlpineDog Tragegurt.
4. “Naturlehrpfad” ins Elend – die Alternative Route nach Belluno
Die offizielle Tagesetappe: gemütlicher Abstieg vom Rifugio Bianchet, 90‑Minuten‑Busfahrt nach Belluno, früh auf der Piazza chillen. Klingt nach Rentner‑Reha. Ich blättere also durch diverse Wanderführer und finde schließlich eine „landschaftlich reizvolle Alternativstrecke über einen Naturlehrpfad“. Hübsche Bilder von Holzstegen, Farnwäldern, kleinen Wasserfällen. Mein Ego jubelt: Ich bin schlauer als alle anderen und habe eine gute Wanderstrecke gefunden, anstatt mich einfach in der Bus zu setzen.
Doch Hochmut kommt ja bekanntlich vor dem Fall.
Der “landschaftlich schöne” Weg ist ein Spinnenweben‑Dschungel. Pfade, die seit Napoleons Rückzug keiner mehr sah, Null‑Sicht auf irgendwas, ein grüner Alptraum. Atmen? Nur durch zusammengepresste Zähne, um Spinnen nicht einzuatmen. Auf allen vieren robbe ich unter einem Felsvorsprung durch, der Rucksack schabt am Gestein. Das GPS‑Signal gibt auf und auch der Handyempfang ist in diesem zugewucherten Dschungel-Alptraum vergeblich zu suchen. Nach knapp drei Stunden Kampf dann das Stillleben des Grauens: ein Totenschädel liegt mitten auf dem Pfad. Ich starre und lache hysterisch.
Kurz nach dem Totenschädel öffnet sich der Dschungel und es eine kitschige Hängebrücke taucht auf. Das ist zwar jetzt echt hübsch, aber sie macht den Weg nicht mal ansatzweise wett.
Nach Stunden Gestrüpp‑Säbelrasseln taucht wenigstens eine kitschige Hängebrücke auf – Instagram‑Gold, klar. Aber die macht den Weg nicht mal ansatzweise wett.
Fazit: Nehmt direkt den Bus, macht von mir aus noch kurz an der Brücke für ein Foto Halt, und geht dann gemütlich in Belluno ein Eis essen.
Stuff to buy: Care Plus DEET 50 % Spray gegen Spinnen‑ und Mückenplagen. Oder gleich eine Machete … würde ich verlinken, wenn Amazon das ohne Altersnachweis zuließe.
5. Flachland‑Etappen – Panini‑Sammelheft in XXL
Es gibt Puristen, die sagen: „Ohne Flachland-Etappen kein echter MucVen!“ Ich sage: „Ohne Flachland-Etappen vielleicht weniger Arthrose.“ Ab Belluno heißt es Asphalt, Felder, Schweißseen unterm Rucksack. Col Visentin? Joa, nett. Tarzo? Ganz süß mit den Prosecco‑Hügeln. Aber danach? Geradeaus. Kilometer um Kilometer. Einfach nur asphaltiert geradeaus. Kleine Kapelle links, Supermarkt rechts, Repeat.
Es gibt nur einen einzigen Grund, die letzten 100 Kilometer nach Venedig zu gehen: Weil man die Sammlung voll haben will. So wie den letzten lahmen Spieler im Panini‑Album. Wer Zeit oder Knie sparen will: Kauf ein Zugticket. Niemand wird dich an der venezianischen Lagune nach deinem Stempel aus Ponte della Priula fragen.
Mentale Checkliste – Gehen oder Zug?
Frage | Antwort „Gehen“ | Antwort „Zug“ |
---|---|---|
Brauchst du das Panini‑Album voll? | Ja. | Nein. |
Stehen deine Knie auf Beton? | Sicher. | Bitte nicht. |
Willst du 3 Tage Podcast‑Binge? | Perfekt! | Gib mir die Kugel. |
Hast du Sonnenbrand‑Fetisch? | Offensichtlich. | Definitiv nicht. |
Gear‑Lessons für die Ebene
- Anti‑Blasen‑Socken Wrightsock Endurance – zweilagig gegen Reibung.
- Care Plus Deet 50 % – deine Duftwolke des Grauens.
- Mini‑Faltstuhl Helinox Chair Zero – wenn keine Bank kommt.
Fazit: Die Flachlandetappen sind kein Alpenkino, sondern … charakterbildende Asphalt-Apokalypse. Aber wer sie meistert, hat anschließend ein Dopamin‑Feuerwerk auf dem Markusplatz – und ein Panini‑Album ohne Lücke.
6. Tissi‑Hütte – wenn die Polenta zurücklacht
Nach knapp vier entspannten Stunden durch hübsche Dolomiten-Wege stehe ich vor der Rifugio Tissi. Ersteindruck: tolle Lage auf einer Kanzel mit Blick auf die Civetta‑Westwand. Zweiter Eindruck: Gebrauchtwarenlager für Matratzen. Die Betten hängen durch, das Bad verströmt Bio‑Aromen. Aber gut, Hunger treibt mich in den Speisesaal.
Dort erwartet mich nur leider das kulinarische Waterloo. Ich sitze am Tisch mit zwei Italienern und einer Polnischen Mutter mit Sohn. Gerade verkünde ich noch hochtrabend: “Das Essen wird jeden Tag besser, je tiefer wir nach Italien kommen!”. Die Stimmung ist gut. Schnitt. Es gibt… undefinierten Polenta-Brei der traurig auf unsere Teller klatscht. Die polnische Mutter und ich bauen kurz Augenkontakt auf. Und explodieren in hilflosem Gelächter. Die Absurdität dieses Ekel-Essens lässt sich nur durch Trauma-Bonding kompensieren. Die zwei Italiener versuchen tapfer, die kulinarische Ehre des Landes zu verteidigen – erfolglos.
Ich freue mich, vor dem schlafen auf dem Holzbrett-hartem Bett noch ein Snikers im Rucksack zu haben. Beim nächsten Mal gehe ich durch bis Rifugio Vazzoler oder packe Notfall‑Ravioli ein.
7. Schlitterpartie zum Passo Duran
Nach dem Polenta‑Trauma der Tissi‑Hütte marschiere ich erstaunlich beschwingt los. Fünf Minuten später macht der Himmel klar, dass gute Laune heute nicht auf dem Menü steht: Dauerregen. Erst sanft, dann Gießkanne im Dauerlauf.
Der Pfad mutiert zügig zu einer Seifenbahn. Die Wurzeln sind glitschig wie Schmierseife, das Geröll spiegelglatt poliert. Ich setze auf Minischritte und ramme die Stöcke vehement in den nassen Boden. Doch jede dritte Wurzel reißt mir fast die Beine weg. Zwei Mal lande ich im Matsch, meine Knie leiden heute ordentlich.
Später erfahre ich: Gleich drei Wanderer haben sich hier heute und morgen schwer verletzt: Hand‑ oder Fußgelenke haben sie sich gebrochen und mussten die Wanderung teilweise komplett abbrechen. So leicht diese Etappe bei gutem Wetter auch sein mag – bei Regen ist sie immens gefährlich!
Die Unterkunft am Passo Duran hat zwar eine gemütliche Bar, dafür ist der Schlafsaal eng, feucht und einfach ungemütlich. Die fünf besoffenen Motorradfahrer als Zimmergenossen mit Alkoholfahne und Schnarch-Rekord machen das Gesamtpaket des Tages leider nicht besser.
Checkliste für Sardinenfreunde: Moldex Spark Plug Ohrstöpsel & ein ultraleichtes Seideninlet Cocoon. Dein Atemtrakt wird es dir danken.
8. Blasen‑Bingo in Jesolo – 16 Kilometer Humpeln bis zum Ziel
Letzter Tag, flaches Finale, man wittert schon Meerluft. Doch meine Füße beschließen: „Jetzt erst recht!“ Gigantische Blasen sprießen wie Pilze nach Sommerregen. Compeed? Schon matschig. Hirschtalg? Netter Versuch. Nach zwei Kilometern kapituliere ich, steche das Ding auf – Nervenschock inklusive. Danach geht’s… weniger schlimm.
Der Einmarsch über die Ponte della Libertà wird zum Humpel‑Defilee. Ich stelle mir vor, wie Markus Lanz später fragt: „Wie war’s?“ – und ich nur meine Burger‑Patty‑Fersen zeige. Foto gibt’s trotzdem, Gesicht verkrampft im Siegerlächeln.
Paramedizinisches Starter‑Set: Compeed Mixpack, Leukotape P & eine Mini‑Nagelschere (zum Sterilisieren nicht vergessen!).
Schlussakkord – was bleibt?
Hustenanfälle, Geröll‑Traumata, Blasen, kulinarische Kriegsverbrechen – und doch würde ich morgen wieder losmaschieren. Denn jeder Fluch‑Moment, jede Angstschweiß‑Perle hat dem Finale am Canal Grande einen extra Glanz verliehen. Level 2 Spaß nennt sich das heutzutage: Wenn etwas im Moment selbst schrecklich ist, aber im Nachhinein doch Spaß gemacht hat.
Wenn du jetzt denkst: “So schlimm kann’s nicht sein, ich probier’s selbst” – dann schick mir ein Foto deiner größten Blase und schreib mir von deinem schlimmsten Erlebniss auf der Wanderung von München nach Venedig.
Hasta la pasta (hoffentlich nicht Tissi‑Edition)
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